Psychische Erkrankungen und Vorurteile

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„Du bist doch nicht normal!“ – Psychische Erkrankungen und ihre Vorurteile

Vorurteile begegnen uns in vielerlei Formen, insbesondere Menschen mit psychischen Erkrankungen sehen sich ihnen häufig gegenüber. Gibt es Wege, mit den Vorurteilen umzugehen? Wie geht es denen, die mit ihnen leben müssen? Um diese Fragen kümmern wir uns in den folgenden Abschnitten. Weiter unten findet ihr auch ein Video mit Beispielen zum Umgang mit Vorurteilen bei Schizophrenie. Damit möchten wir vor allem mehr Austausch und Verständnis für das Thema psychische Erkrankungen erreichen und so Scham und Vorurteilen entgegenwirken.

Vorurteile sind allgegenwärtig. Mal sind wir selbst betroffen und mal ertappen wir uns dabei, wie auch wir Vorurteile gegenüber anderen haben. Sie sind ein verbreitetes Phänomen, das leider besonders häufig im Bereich der psychischen Erkrankungen auftritt. Vorurteile gehören zur Schattenseite unserer Gesellschaft, in der Menschen aufgrund ihrer psychischen Probleme als anders und unnormal gelten. Im schlimmsten Fall werden Betroffene deswegen diskriminiert und ausgrenzt – Zeit, das zu ändern.

Alltägliche Beispiele

Die folgenden Aussagen und Situationen stellen geläufige Meinungen und Sprache dar, die auf Vorurteilen basieren:

„Schizophren sein bedeutet, mehrere Persönlichkeiten zu haben.

Diese Annahme ist falsch, denn bei Menschen mit mehreren Persönlichkeiten handelt es sich um eine andere psychische Erkrankung (dissoziative Identitätsstörung).

„Typisch, psychisch Kranke sind gefährlicher.“

Dass man aufgrund psychischer Probleme eher Straftaten begeht, lässt sich pauschal nicht sagen. Studien finden gemischte Ergebnisse. Klar ist aber, dass zum Beispiel Menschen mit Schizophrenie, die in Behandlung sind, nicht gewalttätiger als Menschen ohne Schizophrenie sind. Wusstest du, dass Menschen mit Schizophrenie sogar häufiger als Menschen ohne Schizophrenie Opfer von Gewalttaten werden?

„Irre, Spinner und Bekloppte“ als bekannte Schimpfwörter.

Mit ihnen wird nicht nur die angesprochene Person beleidigt, sondern sie werten im gleichen Atemzug auch Menschen mit psychischen Erkrankungen ab.

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Zusammengefasst geraten also falsche „Fakten“ über psychische Erkrankungen in Umlauf und werden vermischt mit den eigenen Ängsten. Es entstehen Vorurteile, die Betroffene in die Schublade der Unnormalen und Verrückten stecken.

Öffentliche Stigmatisierung    

In Verbindung mit Vorurteilen fällt häufiger auch der Begriff „Stigmatisierung“. Das bedeutet, eine Person wird aufgrund ihrer Erkrankung in Partnerschaften, Freundschaften oder auf der Arbeit diskriminiert und ausgegrenzt und verliert in der Gesellschaft an Status. Da an diesem Prozess andere Personen bzw. die Gesellschaft beteiligt sind, spricht man von „öffentlicher Stigmatisierung“. Sie führt oft zu Stress- oder Angstzuständen, die über die erlebte Situation hinweg andauern.

Die öffentliche Stigmatisierung breitet sich auf das gesamte soziale Umfeld der direkt Betroffenen aus und macht auch vor den Berufen und Behandlungen nicht halt, die mit der psychischen Erkrankung in Verbindung stehen. Ihr begegnen also sowohl Betroffene, ihre Angehörigen als auch Behandelnde wie Psychiater. Unter den psychischen Erkrankungen ist übrigens die Schizophrenie die am meisten stigmatisierende Erkrankung. Die meisten Menschen haben eine falsche oder gar keine Vorstellung davon, was es bedeutet, schizophren zu sein, weshalb Betroffene vermehrt als verrückt abgestempelt werden.

Selbststigmatisierung

Neben der öffentlichen Stigmatisierung gibt es noch eine weitere Art. Hast du schon einmal von „Selbststigmatisierung“ gehört? Es mag unlogisch klingen – sich selbst stigmatisieren und ausgrenzen? Leider ist es so, dass Betroffene sich selbst gegenüber nicht automatisch frei von Vorurteilen sind. Was sie überall in der Gesellschaft an Meinungen und Stimmungen aufschnappen und erfahren, wird irgendwann verinnerlicht und sie sehen sich selbst als den stereotypen psychisch Kranken. Sie stigmatisieren sich also selbst aufgrund der Stigmatisierung, die sie in ihrer Umgebung wahrnehmen.

Trifft die Selbststigmatisierung auf Angehörige zu, so sehen sie etwa die Verantwortung für die Erkrankung der betroffenen Person bei sich. Sie sind überzeugt, durch Erziehung oder „Weitergabe“ des genetischen Risikos dazu beigetragen zu haben. Es ist auch möglich, dass sie von einem Gefahrenpotenzial des erkrankten Familienmitglieds ausgehen und es für untragbar für das eigene Umfeld halten. Das ist für Betroffene besonders tragisch, da Angehörige für die Akzeptanz von Therapien enorm wichtig sind.

Folgen der Stigmatisierung für Betroffene

Es ist verständlich, dass Vorurteile und Stigmatisierung für Betroffene sehr belastend sind. Zu den verschiedenen Folgen der Stigmatisierung gehören:

  • Rückfälle (Rezidive),
  • verminderte Lebensqualität,
  • geringer Selbstwert,
  • Scham und Selbstvorwürfe,
  • weniger Motivation, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen (besonders bei stark ausgeprägter Selbststigmatisierung),
  • reduzierte Selbstwirksamkeit (das Gefühl, selbst etwas bewirken zu können),
  • fehlende Verfolgung der eigenen Lebensziele.

Auswirkungen auf eine Therapie

Auf eine mögliche Therapie hat vor allem die fehlende Bereitschaft für eine Behandlung äußerst negative Auswirkungen. Vor lauter Scham und Selbstvorwürfen wollen manche Betroffene die Krankheit zunächst nicht akzeptieren und brechen die Behandlung oft zu früh ab. So nimmt die Chance auf Heilung oder schnelle Besserung deutlich ab.

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Durch das gesellschaftliche Stigma kommt hinzu, dass nicht genügend öffentliche Mittel bereitstehen. Das bedeutet weniger Unterstützung und weniger therapeutische Angebote. Finanziell kann die Lage zudem kritisch werden, wenn Betroffene aufgrund ihrer Erkrankung den Arbeitsplatz verlieren.

Auch bei Angehörigen wurden negative Folgen der Stigmatisierung beobachtet. Zum Beispiel ziehen sich manche Eltern von Betroffenen deutlich aus ihrem sozialen Umfeld zurück und entfremden sich immer mehr vom Freundes- und Bekanntenkreis.

All dies sind wichtige Gründe, sich dafür einzusetzen, dass Vorurteile und Stigmatisierung nicht länger zum Alltag unserer Gesellschaft gehören.

Wie Vorurteile entstehen

Was steckt eigentlich hinter den Vorurteilen gegenüber psychischen Erkrankungen? Es ist allgemein gar nicht so verwunderlich, dass Menschen Vorurteile haben. Wann immer wir einer neuen Situation oder einem unbekannten Menschen begegnen, möchte unser Gehirn diese in eine bekannte Kategorie mit bestimmten Merkmalen einsortieren. Diese Strategie hilft uns (besonders in bedrohlichen Situationen), schnell zu entscheiden, wie wir reagieren.

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Im Bereich der psychischen Erkrankungen spielt außerdem seit jeher die Angst vor der Unberechenbarkeit psychisch kranker Menschen, insbesondere mit Schizophrenie oder Psychosen, eine große Rolle. In den Köpfen vieler findet man immer noch ein geteiltes Bild, das psychisch kranke und vermeintlich gesunde Menschen klar voneinander abgrenzt. Menschen mit psychischen Erkrankungen gelten dabei als unvernünftig und unberechenbar. Außerdem befinden sie sich in der Psychiatrie oder anderen Einrichtungen, die in dieser Ansicht nichts mit Normalität zu tun haben. Zu diesem Bild gesellen sich fehlendes oder falsches Wissen um die Erkrankung und Laientheorien.

Wie gehen wir mit Vorurteilen um, wenn wir sie hören?

Es gibt verschiedene Strategien, wie man als Betroffene oder Angehörige mit Vorurteilen umgehen kann. Manche davon sind förderlicher, andere weniger. Oft kommt es auch auf die Situation an, welches Vorgehen ratsamer ist. Wir werden uns folgende vier Strategien anschauen:

  • Rückzug antreten
  • Verheimlichen und verschweigen
  • Begegnungen organisieren
  • Erklären

Den Rückzug anzutreten ist eine verbreitete Folge der Stigmatisierung und eine nachvollziehbare Reaktion. Allerdings geht es einem dadurch meistens nicht besser und man bekommt auch weniger soziale Unterstützung.

Die Erkrankung zu verheimlichen oder verschweigen kann je nach Situation angemessen sein. Es ist schließlich eine sehr private Information, die zum Beispiel bei der Arbeit oder in Bewerbungen nicht unbedingt geteilt werden muss. Im privaten Umfeld kann diese Strategie jedoch zu der Angst führen, dass man mit dem „Geheimnis“ auffliegt.

Begegnungen organisieren heißt, dass man die Erkrankung bestimmten Leuten gegenüber offenlegt und ein Treffen zwischen ihnen und der betroffenen Person ermöglicht. Dabei können Betroffene direkt über die Erkrankung und die damit verbundenen Vorurteile sprechen. Dies ist der direkte Weg, Vorurteile aus dem Weg zu räumen. Er erfordert aber auch einigen Mut.

Erklären kann eine sehr gute und leichte Strategie sein, auf die Vorurteile aus Freundes- und Bekanntenkreisen zu reagieren. Meistens äußern sie diese nämlich unbeabsichtigt und ohne böse Hintergedanken. Vor allem nahestehende Personen werden sicher gern etwas über Psychosen und Co. lernen.

In unserem Video findet ihr Vorschläge für Antworten auf Vorurteile am Beispiel der Schizophrenie:

Vorurteile lassen sich vermeiden

Meistens können wir Vorurteile vermeiden, indem wir unsere Reaktionen überdenken. Wir müssen Kategorien oder Schubladen nicht automatisch öffnen. Wir können uns stattdessen zuerst fragen: „Stimmt meine Annahme über die Person?“ Auch, wenn bereits negative Erfahrungen mit anderen Personen gemacht wurden, muss es nicht für alle gelten.

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Das Gute ist: Je länger Nicht-Betroffene mit Betroffenen in Kontakt sind, sei es in der Arbeit oder Familie, desto weniger sehen sie sie als mysteriös und völlig anders vom eigenen Selbst. Das ist wichtig, denn wir wissen, was Stigmatisierung aufgrund von Vorurteilen bei psychischen Erkrankungen anrichten kann. Unser Rat ist daher, mehr informieren oder sogar den direkten Austausch mit Betroffenen suchen. So geben wir Vorurteilen immer weniger die Chance, überhaupt zu entstehen und sich festsetzen zu können.

Mehr Tipps zum Umgang mit Vorurteilen gibt es in unserer App Kiso Care für Angehörige von Psychose-Betroffenen.  Mit unserem Newsletter werdet ihr benachrichtigt, sobald ihr Kiso Care nutzen könnt.

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Foto von Markus Spiske auf Unsplash & Illustrationen von Freepik


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