Psychotherapie für alle

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Psychotherapie für alle: Wie eine neue digitale Anwendung Psychose-Betroffenen und Angehörigen helfen kann

Psychotische Erkrankungen wie die Schizophrenie verursachen einen großen Leidensdruck und trotzdem herrscht noch immer ein Mangel an schneller, professioneller Hilfe. Wir bei Kiso Health haben deshalb zwei digitale Anwendungen entwickelt, um die Situation für Betroffene und Angehörige zu verbessern.

Etwa 2 Millionen Menschen in Deutschland waren im letzten Jahr von einer Psychose-Erkrankung betroffen. Die bekannteste unter ihnen ist die Schizophrenie. Psychose-Erkrankungen, auch psychotische Erkrankungen genannt, sind geprägt durch Wahnvorstellungen, Halluzinationen, sowie tiefgreifende Veränderungen im Gefühlsleben und Antrieb der betroffenen Personen. Diese Symptome beeinflussen nicht nur isolierte Bereiche des Alltags, sondern greifen weitreichend in das Leben von Betroffenen ein, wodurch eine Psychose zu Recht als eine schwere psychische Erkrankung betrachtet wird.

Allerdings begegnen Millionen von Betroffenen neben der reinen Bewältigung ihrer Erkrankung noch weiteren Hindernissen: Stigmatisierung und Vorurteile.

Ein leider alltägliches Beispiel der gesellschaftlichen Stigmatisierung zeigte sich erst kürzlich in der beliebten Krimiserie “Tatort”, in der ein gefährlicher psychotischer Serienkiller fiktiv porträtiert wird und Millionen Zuschauer in seinen Bann zieht.

Doch abseits der Unterhaltungswelt liegt eine ernste Realität. Menschen mit Psychose, die aufgrund ihrer Erkrankung stigmatisiert werden, fühlen oft einen geringen Selbstwert, eine reduzierte Selbstwirksamkeit und gehen im Leben weniger ihren individuellen Zielen nach. Die Stigmatisierung durch die Umwelt raubt ihnen so einen beträchtlichen Teil ihrer Lebensqualität. Auch Sucht und Arbeitslosigkeit können mit der Erkrankung zusammenhängen und belasten. Nicht selten treten Betroffene in dieser Situation den sozialen Rückzug an.

Da psychotische Erkrankungen in mehr als der Hälfte der Fälle vor dem 30. Lebensjahr auftreten, ziehen viele Betroffene wieder bei ihren Eltern ein, wenn der Alltag alleine nicht mehr zu bewältigen scheint. Für Angehörige kann diese Situation ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich bringen. Nicht nur sind sie meist mitbetroffen von der Stigmatisierung. Auch fehlendes Wissen über den Umgang mit Betroffenen kann zu belastenden Situationen im engsten privaten Raum führen. 

Eltern können oft nur von außen zusehen, fühlen sich hilflos und überfordert, finden keinen Zugang zu ihrem Kind. Auf eine Partnerschaft kann die Erkrankung ebenfalls einen negativen Einfluss üben und Unterstützung von außen ist für Angehörige meist nur schwierig zu finden. Daher ist es essenziell bei der Entwicklung von Hilfsangeboten nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch das nächste Umfeld mitzudenken und einzubeziehen.

Gründe für den Bedarf an neuen Therapie- und Hilfsangeboten

Obwohl so viele Menschen mit ihnen leben müssen, werden psychotische Erkrankungen oft nicht ganzheitlich behandelt. Nur zwei Prozent aller Fälle erhalten derzeit psychotherapeutische Hilfe – eine alarmierende Zahl. Besonders vor dem Hintergrund, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall und einen Krankenhausaufenthalt steigt, wenn Anzeichen einer Psychose-Symptomatik nicht behandelt werden. Warum also erhalten so wenige Betroffene eine Psychotherapie?

Ein Grund ist das bereits erwähnte Stigma. Dieses kann internalisiert bei manchen Betroffenen zu einer stark ausgeprägten Selbststigmatisierung führen. Sie sind in deren Folge weniger motiviert, professionelle Hilfe und Therapieempfehlungen in Anspruch zu nehmen. Letzteres ist besonders dann der Fall, wenn Angst vor der Verurteilung und Stigmatisierung durch den Therapeuten hinzu kommt.

Wird jedoch der Entschluss gefasst, sich in therapeutische Hände zu begeben, steht die nächste Hürde bereit. Denn die Wartezeit auf einen Therapieplatz beträgt aktuell mehrere Monate bis Jahre. In Deutschland gibt es schlicht zu wenige Praxen, die einen Kassensitz haben und mit diesem über die gesetzlichen Krankenkassen abrechnen dürfen. Wer privat versichert ist oder das Geld für eine Behandlung aus eigener Tasche aufbringen kann und möchte hat daher schon bessere Karten und kann mit geringeren Wartezeiten rechnen.

Was dieses Problem noch verstärkt: Vielen Therapeutinnen fehlen die Expertise und Erfahrung bei der Behandlung von psychotischen Störungen wie der Schizophrenie. Daher müssen Betroffene eine umso längere Wartezeit überbrücken.

Kiso: Digitale Hilfe für Betroffene

Kiso Health ist ein Startup aus Berlin, das das Problem der Unterversorgung und Stigmatisierung erkannt und eine innovative Lösung entwickelt hat. Die Idee dahinter: Den 98 Prozent der Betroffenen, die nicht in Therapie sind, ein niedrigschwelliges Angebot zu bieten, das es ihnen ermöglicht, eigenständig die Symptomatik und Lebensqualität zu verbessern. Das Ziel ist auch, die Selbstwirksamkeit Betroffener zu fördern, also die Erfahrung, den Umgang mit der Erkrankung wieder ein Stück weit selbst in der Hand zu haben und aus eigener Kraft die Situation für sich selbst zu verbesser

Die App, die dabei helfen soll, heißt Kiso und beinhaltet psychotherapeutische Übungen für bestimmte Symptom- und Lebensbereiche, in denen sich psychotisches Erleben im Alltag besonders einschränkend und belastend auswirken kann. Bei den therapeutischen Übungen handelt es sich um die effektivsten Techniken aus der kognitiven Verhaltenstherapie, dem Goldstandard der Psychose-Therapie. Betroffene erhalten auf sie zugeschnittene Übungen, die sie ganz ohne Psychotherapeuten auf dem Smartphone durchführen. Während also eine klassische ambulante Therapie für viele Betroffene aus verschiedenen Gründen (noch) nicht möglich ist, bietet die App einige Vorteile:

Kiso ist derzeit noch in der Entwicklungsphase und wird nach wissenschaftlicher Überprüfung in einer Studie zukünftig als zertifiziertes Medizinprodukt auf den Markt kommen. Das bedeutet, es kann dann von Behandelnden wie Ärztinnen und Psychotherapeuten verschrieben und das Rezept wie ein Medikament bei der Krankenkasse zur Kostenübernahme eingereicht werden. Bisher fehlt eine solche Anwendung, die zum einen auf das Krankheitsbild der Psychose spezialisiert ist und zudem psychotherapeutische Übungen zur eigenständigen Einflussnahme auf die Verbesserung der Lebensqualität und Symptomatik anbietet.

Kiso ermöglicht eine frühzeitige psychotherapeutische Behandlung und kann dadurch Krankheitsverläufe positiv beeinflussen und so Krankenhausaufenthalte reduzieren bzw. gänzlich vermeiden. Gleiches gilt für den eingangs erwähnten sozialen Rückzug. Mit der App erfahren Betroffene Unterstützung dabei, diesen Rückzug zu vermeiden und stattdessen aktiver am gesellschaftlichen Geschehen teilhaben zu können sowie auch hier einen Rückfall hinauszuzögern oder zu vermeiden.

App Kiso Care unterstützt Angehörige

Die Rolle der Angehörigen bei der Genesung ist nicht zu unterschätzen. Statt allein die betroffene Person – quasi isoliert – zu behandeln, lohnt es sich, das nächste Umfeld, zum Beispiel Familienmitglieder, durch Aufklärung in die Therapie einzubeziehen. Dadurch kann die Rate an Rückfällen und erneuten Krankenhausaufenthalten reduziert werden. So gestaltet sich ein ganzheitlicher Behandlungsansatz, den auch wir bei Kiso Health mit unserem zweiten Angebot Kiso Care verfolgen. Die App richtet sich explizit an Angehörige und hält für sie Informationen zur Erkrankung und zum Umgang mit Betroffenen bereit. Kiso Care wird in Kürze zum kostenlosen Download im App Store und Play Store verfügbar sein.

Anders als bei Kiso handelt es sich bei Kiso Care nicht um ein Medizinprodukt. Die Anwendung ist daher frei verfügbar und soll Angehörigen ein Anker im Alltag sein, denn auch sie leiden oft unter den Auswirkungen der Erkrankung. In drei Modulen wird ein umfangreiches Wissen in den wichtigsten Bereichen rund um das Psychose-Spektrum vermittelt – alles gebündelt an einem Ort:

Wie verhalte ich mich in einer akuten Krise? Was ist eine Psychose? Wie gehe ich mit Ängsten oder Aggressivität seitens der betroffenen Person um? Für diese und viele weitere Fragen stellt Kiso Care einen Leitfaden dar und unterstützt Angehörige mit Erklärungen und Beispielsituationen, um den bestmöglichen Umgang mit der Erkrankung, sich selbst – Stichwort gesunde Abgrenzung – und dem Stigma von außen zu finden.

Es gibt viel zu tun

Im Kiso Health-Team fließen Gründergeist, Erfahrung aus der psychologischen Praxis und der Wille, etwas zu verändern, zusammen. Kompetente Unterstützung erfahren wir zusätzlich unter anderem durch die Anbindung an die Charité Universitätsmedizin und die Freie Universität Berlin, worüber wir mit dem EXIST-Gründungsstipendium zuletzt eine weitere Förderung erhalten haben. Denn bis die App Kiso für alle Betroffene auf dem Markt verfügbar ist, steht noch einiges auf der To-Do-Liste. So muss zum Beispiel eine Studie zur Wirksamkeit durchgeführt werden und natürlich braucht es mehrere Testdurchläufe, um die Gestaltung der Übungen bestmöglich an die Bedürfnisse der zukünftigen User anzupassen.

Wer von einer psychotischen Erkrankung betroffen und interessiert ist, die App zu testen, kann sich gerne über unser Kontaktformular melden. Das Feedback durch Test-User ist ein wertvoller Beitrag in der (Weiter-)Entwicklung der App und trägt entscheidend zur Verbesserung des Hilfsangebots für andere Betroffene bei. Hinweise und Ideen von Menschen, die mit der Erkrankung leben, werden dankbar angenommen und sind jederzeit herzlich willkommen.

Hinweis zu inklusiver Sprache

Unsere Inhalte richten sich an alle Menschen unabhängig von Geschlecht und Identität. Deshalb verwenden wir auf unserer Website sowohl neutrale, weibliche als auch männliche Formulierungen, während wir aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf die gleichzeitige Verwendung dieser Sprachformen zum Beispiel durch das Gendersternchen verzichten. Alle Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter. Auch die verwendeten Bilder sind so gewählt, dass sie eine möglichst große Vielfalt abbilden.

Foto von Patrick Tomasso auf Unsplash & Illustrationen von Freepik

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